Gerd Nagel


Ein Weltklassesportler aus Sulingen

GERD NAGEL – EINER DER WAS GERISSEN HAT

Es gab eine Zeit, da hat sich Gerd Nagel am Wohlsten gefühlt, wenn er dem Himmel aus eigener Kraft – möglichst vor allen an­dern Menschen - am Nächsten kam.

 

Das ist ihm ziemlich gut gelungen. Es gab und gibt nicht viele Erdenbewohner, die es ihm mit Sprüngen bis zu 2,35 Meter gleich tun können. Bis heute, anno 2019, vielleicht 30, viel­leicht ein paar mehr. Und das in gekrümmter Rückenlage. Ein Verrückter, der es wie die paar anderen liebte, sich zu ka­steien? Ein Artist, ein Schlangenmensch? Vielleicht ja, viel­leicht nein!

 

Gerd Nagel ist ein Hochspringer gewesen, einer der absoluten Extraklasse, ein Ästhet. (Noch) nicht, als er 1971 mit 12 Jah­ren 1,52 hochsprang – im Scherenstil.

Das interessierte ihn nicht, auch wenn der Sprung seine Eltern in die Nähe der Ekstase versetzt hatte. Den nächsten Satz machte der am 22. Oktober 1957 in Sulingen Geborene – vier Jahre später - im Sommer 1975 mit 17: nunmehr gleich über 2,00 Meter. Das interessierte ihn schon eher, inzwischen längst nicht mehr, seit ihm klar geworden war, dass in genau jenem Alter, 17, ein anderer, sein schärfster Konkurrent, der Olym­piasieger Dietmar Mögenburg, mit 2,32 Meter bereits Deutscher Rekordhalter geworden war. Immerhin begann Nagel nun doch ein wenig intensiver zu trainieren, aber immer noch mehr aus Spaß denn aus Neugier, was aus ihm werden könnte: „Der Natur nä­her“, wie er es ausdrückte, „im Einklang mit ihr“, dem Doping so fern wie der Teufel dem Glauben. Noch heute wundert sich der besterhaltene 62-Jährige, den man sich vorstellen kann, wie viele Langstreckler und Radprofis in der „Tour de France“ „sogar unter Asthma `leiden`, bloß um an das entsprechende Zeugs (Clenbuterol zum Beispiel) zu kommen.“

Und doch hatte dieser erste Zwei-Meter-Sprung irgendwas in Gang gesetzt - eine Rasanz, die tatsächlich nur von Mögenburgs Steilflug überboten wurde: 1976 2,10m – 1978 2,20m – 1979 2, 30m bis 2,35m 1988 (und 2,36m 1989 in Sulingen, in der Eden­halle des Sports).

 

Zum „Tag der Tage“ oder zur echten sporthistorischen Sensation vor 40 Jahren wurde für den 21-jährigen Youngster Nagel, für Mögenburg (17) und Carlo Thränhardt (22) der 9. Juni 1979, als diese drei Nachwuchsspringer, seither bekannt als die „drei Musketiere“, in aller Eintracht die Höhe von 2,30 Metern mei­sterten, den Deutschen Rekord damit gleich um vier Zentimeter verbesserten und sich in der Weltrangliste des Jahres den 1. Platz teilten - dreiteilten. Eine in der Leichtathletik nahezu einmalige Leistung. Für Gerd Nagel – Enkel des legendären Su­linger Bürgermeisters und Abgeordneten des Deutschen Bundesta­ges, Bäckermeister Eickhoff -, besonders, da er, Nagel, mit seinem Sprung in die Weltklasse zu Mögenburg aufschloss, auch wenn der ihn einige Monate später mit 2,32 doch noch abfing - nicht aber an jenem Tag des 9.6. in Eberstadt bei Heilbronn. Eine Globus weite Sensation! Dass Nagel mit der gleichen Höhe im selben Jahr v o r Thränhardt und Mögenburg Deutscher Meister wurde, verblüffte sogar den Rekordhalter, der mit seiner Länge von 2,01 Meter den 1,88 Me­ter großen Nagel um satte 13 Zentimeter abhängte – im Hoch­sprung ein nicht einzuholender Vorsprung, dennoch aber gegen den kleinsten der drei Musketiere verlor.

 

Interessant, wenn auch nur inoffiziell wichtig, ist die Diffe­renz zwischen Körpergröße und persönlicher Bestleistung der beiden Rivalen. Sie beträgt bei Nagels Bestleistung von 2,35 47 Zentimeter, dagegen nur 35 bei Mögenburgs Rekordsprung über 2.36. In der Leichtathletik gibt es – anders als beim Gewicht­heben oder Boxen – nun mal keine Gewichtsklassen. …

 

Dennoch sei dem geneigten Leser empfohlen, auf dem Weg zur Würdigung dieser Leistung bei 2,35m einmal – vorübergehend, vielleicht sogar im eigenen Wohnzimmer – einen kleinen, sicht­baren Strich zu ziehen…

 

Der große Mögenburg wusste Nagels Leistung durchaus einzustu­fen: „Er hätte mehr tun können“, ließ er sich im Gespräch mit dem Autor abringen. Was im ersten Moment merkwürdig klingt, enthüllt im zweiten Mögenburgs pure Erleichterung. Er fürchtete schon den „schnellen Fuß“ des „kleinen“ Gerd aus Su­lingen. Der wiederum winkt ab. Er betrachte sich als glücklichen Menschen, verheiratet mit einer Ärztin und ausge­zeichnet mit vier, die Karriereleiter just erklimmenden Kin­dern. Und die Urkunden, Pokale, Medaillen? Ein leicht gedehn­tes Ja! „Irgendwo zuhause gibt‘s sie noch!“

Gerd Nagel, der Mann, der dem Himmel aus eigener Kraft am nächsten kommt.

 

Sulingen, 07.08.2019

Knut Teske