Liesel Westermann, eine einst lokale Diskuswerferin, ist trotz Napoleon, der ja auf seinem Weg ins Verderben nach Russland durch Sulingen gezogen sein soll, das Größte, was dieser Stadt je passiert ist und vermutlich passieren wird. Und das bleibt auch so, gerade weil der „kleine Korse“ Sulinger Boden nie betreten hat, wenn auch tatsächlich einige seiner Truppen.
So konkurrenzlos wie in ihrem Geburtsort war Liesel nicht nur hier – sie war es während ihrer Ära als absolute Herrscherin weltweit – von 1967 bis 1969. 1967 ̈bertraf sie als erste Frau die für unmöglich gehaltene 60-Meter-Marke mit der 1-Kilo-Scheibe im November in Südamerika mit unglaublichen 61,26 Meter. Es war die Vollendung eines Rauschjahres, in dem sie ihre persönliche Bestleistung fast jede Woche über etliche deutsche Rekorde hinweg bis zum Weltrekordwurf verbesserte. In dieser Saison landete der Name Westermann im Stehsatz der Weltpresse, bald mit dem Zusatz „Diskus-Liesel“; nicht nur, weil sie damit als erste Deutsche zur besten Leichtathletin unseres Globus gewählt wurde – auch weil sie seither dank ihres strahlenden Lächelns, bis heute, fast möchte man behaupten, zur „ewigen“ „Diskus-Liesel“ avancierte.
Auf die Steigerung ihrer Bedeutung kommt es gar nicht mehr an, obschon auch sie nicht unterdrückt werden soll: 1969 wurde das Sulinger Kind, inzwischen vierfache Weltrekordlerin, sogar als weltbeste Sportlerin geehrt und - ein weiterer Superlativ - als erste und einzige Deutsche. Wer kann und wird das je von sich behaupten, als Person, besser: als Persönlichkeit weltweit als unique, als einzigartig betrachtet zu werden? Und das im Alter von gerade 25 Jahren, noch dazu nach der Niederlage 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexico, als sie wie aus einem Rausch erwachte.
Seitdem gilt das Glückskind der internationalen Leichtathletik und saubere Botschafterin des Westens ein wenig auch als „Pechmarie“. Denn auch 1972 in München klappte es nicht mit dem Olympiasieg. Ein grandioser Wurf von ihr wurde um Millimeter übergetreten. Besiegt aber wurde sie nicht dadurch; besiegt wurde sie durch eine Phalanx ungemein stämmiger, dopingversierter Ostblock-Athletinnen; und schon die Siegerin von 1968, eine frühzeitig verstorbene Rumänin, wurde nicht ohne Grund des Dopings bezichtigt.
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Trotz allem bleibt Liesel Westermann die Ausnahmeathletin schlechthin. Sie macht nach ihrer Karriere im Sport, die im Übrigen ohne ihren Heimtrainer Bruno Vogt undenkbar gewesen wäre, nach Heirat und Mutter von vier Kindern
auch im Zivilleben Karriere: 2003 wird die Oberstudienrätin aus Sulingen in Hannover zur Koordinatorin für den Schulsport berufen. Als Autorin ihrer Biographie „Es kann nicht immer Lorbeer sein“ und Autorin für die „Zeit“ und andere Journale wird es nicht still um sie.
Sie ist heute Vorsitzende des Ehrenrates beim komplizierten Sportverein Hannover 96 und gehört weiterhin zu den Meinungsmachern in Sachen „Anti-Doping“. Sie ist direkt, beweist Mut und fiel schon frühzeitig durch Kritikfähigkeit auf, die nicht bei allen gut ankam. Vor allem nicht in der eigensüchtigen Funktionärskaste des Deutschen Leichathletikverbands. Mit Martin Lauer und Armin Hary gehörte sie zum Exklusivkreis der deutschen Sportelite – einer Erfolgstruppe wie keine zweite, der man den Rudolf-Harbig-Preis – eigentlich geschaffen für den mündigen Sportler – nachgerade geschlossen verweigerte.
Für die Öffentlichkeit hat sich dessen ungeachtet nichts geändert. Für sie ist Liesel Westermann nach wie vor die Diskus-Queen; für Fachleute die schnellste, die je im Ring zu beobachten war.
Sulingen, 20. Juli 2019
Knut Teske
© Sulingen Projekt GbR